Stadtteilmagazin für Osdorf und Umgebung

„Die Kirche hat das Thema Antiziganismus noch gar nicht begriffen”

 
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Christian Rosenberg ist Vorsitzender des Sinti-Vereins für Kinder und Jugendliche und leitet die Evangelische Gemeinde Licht und Leben. Der Westwind sprach mit ihm über die Situation von Verein und Gemeinde am Osdorfer Born. 

Herr Rosenberg, wie hat der Konflikt mit dem Pastor der Maria-Magdalena-Gemeinde begonnen?
Angefangen hat es im Jahr 2022. Ich hatte mit dem Pastor ein längeres Gespräch. Es ging um einen Hebammendienst, der in den von uns gemieteten Räumen eingerichtet werden sollte. Wir wertschätzen diese Arbeit. Wir wollten unseren Leuten aber kein Signal senden, das sie falsch deuten könnten. Wegen unserer Geschichte haben Sinti und Roma kaum Vertrauen in Ärzte. Bis heute. Unsere Leute wurden zwangssterilisiert. Frauen und Männer. Man hat fürchterliche Versuche mit ihnen durchgeführt. Wer das erlebt hat, ist bis heute schwer traumatisiert. Mein Vater wurde 1933 geboren. Jahrelang ist er nicht zum Arzt gegangen. Als er dann bei einer Untersuchung stehen musste, sind die Bilder aus dem Lager wieder hochgekommen. Ich habe dem Pastor Einblicke über das Leben meines Vaters gegeben. Und meines Onkels, der Zeit seines Lebens schwer traumatisiert war und später dem Alkohol verfallen ist, weil er mit alldem nicht klargekommen ist. 

Wie hat der Pastor reagiert?
Er hat nur sarkastisch und höhnisch gelächelt. Da war ich kurz davor, meinen christlichen Glauben für zwei Minuten zu vergessen. Deswegen habe ich ihn gebeten, aufzustehen und den Raum zu verlassen. Etwas später fing er an, sich sehr abwertend über unsere Kultur zu äußern. Wir wären über das Denken eines mittelalterlichen Dorfes nicht hinausgekommen. Das ist die Sprache, die wir aus der NS-Zeit kennen. Ich habe mit fast allen Überlebenden des Holocaust, die in Hamburg leben, gesprochen und ihre Geschichte aufschreiben dürfen und müssen. Und deswegen reagiere ich sehr sensibel, wenn solche Dinge passieren. 

Die „Mopo“ berichtete, dass der Pastor die Sinti in einer Sitzung des Kirchengemeinderats als „Zigeunerpack“ beschimpft haben soll. Dies und einige weitere Aussagen des Pastors führten dazu, dass die Nordkirche Strafanzeige gegen ihn stellte. Er bestreitet alle Vorwürfe (Westwind 3/2025). 
Es wird immer so dargestellt, es stehe Aussage gegen Aussage. Stimmt überhaupt nicht, es stehen Aussagen gegen Aussage. Das ist ein Unterschied. Diese Aussagen finden sich in den Akten der Staatsanwaltschaft. Sie sind teilweise auch protokolliert worden. 

Es gab bei der Gegendemonstration im Februar ein Transparent, das den Pastor vom Vorwurf des Rassismus freispricht (Westwind 3/2025 und 4/2025). 
Es war zu hören: ,Unser Pastor ist nicht rassistisch. Er teilt bei der Tafel Essen auch an ausländische Menschen aus.‘ Haben diese Menschen überhaupt mal ein bisschen recherchiert, was im ,Dritten Reich‘ passiert ist? Haben Sie recherchiert, wer uns in die Hölle reingeworfen hat? Das war der nette Bäcker, das war der Freund von nebenan, mit dem man gegrillt hat. Das war die nette Oma, der man immer die Kohle aus dem Keller getragen hat. Diese Leute haben uns an den Pranger gestellt und nicht die Nazis selbst. Ich musste es leider sehr intensiv recherchieren. 

Mit dem Pastor gab es weiter Kontakt?
Ich hatte ihm zwischendurch immer wieder das Gespräch angeboten. Es gab 2023 auch ein Treffen, bei dem Propst Bräsen von der Nordkirche anwesend war. Ich habe dem Pastor angeboten, die ganze Sache zu vergessen, wenn er sich bei mir und unseren Gemeindemitgliedern entschuldigt. Darauf ist er nicht eingegangen. Von der Kirche wurde dann die erwähnte Strafanzeige gestellt. Das Verfahren wurde von der Staatsanwaltschaft zunächst eingestellt. Die Staatsanwältin hatte genug Zeit, sich den Fall detailliert anzuschauen. Wenn man sich ihre Stellungnahme anschaut, dann muss man sagen, dass da wirklich nicht gut recherchiert wurde. Was uns besonders verwundert: Es gibt Zeugen aus der Gemeinde und der Nordkirche, die nicht angehört wurden. Gegen die Einstellung des Verfahrens sind wir mit der Beschwerde vorgegangen. Das juristische Verfahren läuft also noch. 

Die Nordkirche hatte den Pastor wegen der Vorwürfe vorläufig vom Dienst suspendiert und mit Pastor Kreller einen Vertreter eingesetzt. Seit Januar ist der Pastor wieder zurück in der Gemeinde. Was hat sich verändert?
Wir wussten, wenn der Pastor wieder im Boot ist, wird es hier schwieriger werden. Und genau das hat stattgefunden. Ich bin Vorsitzender des Sinti-Vereins und gleichzeitig Pastor und Leiter der Evangelischen Gemeinde „Licht und Leben“.  Wir nutzen die Räumlichkeiten der Maria-Magdalena-Kirchengemeinde für unsere Gottesdienste. Dafür haben wir Miete gezahlt. Am 8. April, dem Roma- und Sinti-Gedenktag, lag ein Schreiben des Kirchengemeinderats im Briefkasten, das von Herrn Kreller unterschrieben wurde. Darin steht: Unsere Gemeinde darf die Räumlichkeiten ab sofort nicht mehr nutzen. Pastor Kreller hatte uns noch zu Weihnachten geschrieben, das er das Vertrauensverhältnis mit uns wieder aufbauen wollte. Er hat im Februar auf unserer Demo gesprochen und sich klar zum Thema Rassismus positioniert. Das habe ich ihm damals abgenommen. Seine Rolle rückwärts verstehe ich nicht. Er konnte es mir jedenfalls bislang nicht plausibel erklären. Ich muss daraus schließen, dass seine Aussagen zuvor nicht ehrlich gemeint waren. Der Druck innerhalb der Gemeinde scheint zu groß geworden zu sein. Weil viele dort Fans des Pastors sind. 

Wie geht es für die Gemeinde Licht und Leben weiter?
Das wissen wir momentan nicht. Wir wollten unser 20-jähriges Jubiläum feiern. Dazu wären auch Gäste von außerhalb gekommen. Das geht jetzt nicht mehr. 

Wie hat die Nordkirche auf den Rauswurf reagiert?
Ich hatte einen kleinen Hoffnungsschimmer nach einer Rede von Bischöfin Fehrs, die vor einigen Jahren ankündigte, den Antiziganismus im Keim ersticken zu wollen. Das fand ich bemerkenswert. Nur hat sie leider mit ihrem Verhalten nicht nur jetzt, sondern auch schon in den letzten drei, vier Jahren gezeigt, dass das nichts als Worthülsen sind. Wir haben ihr nach dem Rauswurf einen Brief mit der Bitte geschrieben, uns bei der Suche nach neuen Räumlichkeiten zu helfen. Wir haben bislang keine Antwort bekommen. Die Kirche zeigt kein Interesse daran, dass hier im Stadtteil Frieden herrscht. Das finde ich traurig.

Wie beurteilen Sie als Bürgerrechtsaktivist die Bemühungen der Nordkirche, gegen Antiziganismus vorzugehen?
Ich glaube, dass die Kirche das Thema Antiziganismus noch gar nicht begriffen hat. Ich glaube, es ist eher der Druck, den die Kirche gespürt hat, weil das Thema in der Gesellschaft so ein bisschen nach oben gekommen ist. Seit 34 Jahren mache ich diese Bürgerrechtsarbeit. Aber fast wie vor 
34 Jahren muss ich mich immer noch rechtfertigen. Bei Themen, in denen wir Experten sind, sind wir immer nur Beiwerk. Da hat sich nicht viel geändert. Man hat Arbeitskreise, 
es gibt Projekte über uns, aber nicht mit uns. Man behandelt uns wie behinderte Menschen und unterstellt uns, dass wir es alleine nicht hinbekommen. 

Wir kennen den Osdorfer Born bislang als toleranten Stadtteil. In der Stadtteilkonferenz sagte eine Teilnehmerin, der Konflikt liege wie eine Dunstglocke über Osdorf. Sehen Sie das ähnlich?
Ja, das spürt man. Das spürt man ja ganz intensiv in der Atmosphäre und im Ton, wie man miteinander umgeht. Das Klima ist vergiftet. Für mich war der Punkt erreicht, wo ich sagte: Wow! Das war die Art und Weise, wie jetzt die Gemeinde Licht und Leben rausgeschmissen wurde.

Wir bedanken uns für das Gespräch und wünschen Ihnen und dem gesamten Stadtteil, dass der Konflikt bald gelöst wird.  

Interview
 Frieder 
Bachteler und 
Matthias
 Greulich

Christian Rosenberg auf einer Demo gegen Rassismus

Dieter Schulz: Leitender Pressesprecher der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Norddeutschland (Nordkirche) zum Konflikt im Osdorfer Born.
Zunächst eine grundsätzliche Klarstellung: Für die Evangelisch-Lutherische Kirche in Norddeutschland (Nordkirche) und für den Ev.-Luth. Kirchenkreis Hamburg-West/Südholstein ist klar: Rassismus und Diskriminierung haben in der Kirche keinen Platz. Antiziganismus widerspricht fundamental unserem christlichen Selbstverständnis und wird in keinerlei Form toleriert. Wir setzen uns aktiv für ein respektvolles und würdevolles Miteinander aller Menschen ein, unabhängig von ihrer Herkunft oder Zugehörigkeit.  
Die Datierung des Schreibens vom 
8. April, dem Internationalen Gedenktag der Sinti und Roma, ist der Sitzungsaktualität geschuldet und steht in keinerlei Zusammenhang mit den Adressaten. Dennoch bitten wir dies zu entschuldigen, da es im Widerspruch zu unseren Werten und unserem generellen Handeln steht.
 
Herr Schulz, können Sie sagen, wann das Disziplinarverfahren gegen den betroffenen Pastor zum Abschluss kommen wird?
Die Nordkirche arbeitet die von Ihnen benannten Vorwürfe in einem geordneten Verfahren auf und hatte diese bei den Strafverfolgungsbehörden zur Anzeige gebracht. Gemäß Disziplinargesetz der Nordkirche wurde das Disziplinarverfahren gegen den von den Vorwürfen betroffenen Pastoren für die Dauer der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen ausgesetzt. Uns ist bewusst, dass die Dauer der Ermittlungen der Staatsanwaltschaft die Situation in der Gemeinde belastet hat. Die Nordkirche hat daher den Dienstauftrag des derzeitigen Vertretungspastors, der in den vergangenen Monaten zu einer Entspannung der Situation beigetragen hat, verlängert. 
Mit Schreiben vom 19. Februar 2025, das der Nordkirche am 24. Februar 2025 zugestellt worden ist, hat die Staatsanwaltschaft Hamburg mitgeteilt, dass das Ermittlungsverfahren gegen den von den Vorwürfen betroffenen Pastor eingestellt worden ist. Die Nordkirche und der Ev.-Luth. Kirchenkreis Hamburg-West/Südholstein respektieren den Entscheid der Staatsanwaltschaft Hamburg.
Nach Einstellung des staatsanwaltlichen Ermittlungsverfahrens bleibt das Ergebnis des Disziplinarverfahrens abzuwarten, welches nun zügig wieder aufgenommen wurde. Mit Blick auf die Situation in der Gemeinde hoffen die Nordkirche und der Kirchenkreis hier auf eine zeitnahe Entscheidung, ein genauer Termin kann nicht genannt werden, da solche Verfahren grundsätzlich ergebnisoffen und damit ohne Terminbeschränkung angelegt sind.
 
Wie steht die Nord zu dem Verhalten des Gemeinderats der Maria-Magdalena-Kirchengemeinde?
Kirchengemeinden der Nordkirche sind selbstständige Körperschaften öffentlichen Rechts. Der Kirchengemeinderat der Maria-Magdalena-Kirchengemeinde handelt in eigener Verantwortung, wenn er über die Nutzung seiner Räume entscheidet. Dies sind Belange, die ein Kirchengemeinderat eigenständig regelt und entscheidet.
Daher verweise ich auf die Stellungnahme der Kirchengemeinde:  „Es gibt ein Votum der Gemeindeversammlung und einen einstimmigen Beschluss des Kirchengemeinderates. Alles andere besprechen die beteiligten Parteien miteinander.“

Stellungnahme Sozialraumteam Osdorf zur Kündigung der Gemeinde Licht und Leben durch die Ev.-Luth. Maria-Magdalena-Kirchengemeinde und zum Umgang mit den Vorwürfen rassistischer Vorfälle 
Das Sozialraumteam Osdorf (als Zusammenschluss der sozialen Einrichtungen in Osdorf) ist insgesamt sehr betroffen vom Vorgehen der Maria-Magdalena-Kirchengemeinde und positioniert sich gegen jede Form von Rassismus wie  z. B. Antiziganismus. 
Das Sozialraumteam fordert die politischen Entscheidungsträger*innen des Bezirks und die Verantwortlichen der Nordkirche und der Maria-Magdalena-Kirchengemeinde dazu auf, sich aktiv an einem Prozess zur Konfliktlösung bzw. Aufarbeitung der Geschehnisse der letzten Monate zu beteiligen. 
Dies beinhaltet unserer Meinung nach zwingend die Beachtung folgender Punkte:
• Die Vorfälle betreffen den gesamten Stadtteil, Einrichtungen vor Ort und die Anwohnenden vom Osdorfer Born. Daher fordern wir eine aktive und transparente Kommunikation seitens der Nordkirche und insbesondere der Maria-Magdalena-Kirchengemeinde, beispielsweise in Form frühzeitiger Pressemitteilungen, Teilnahme an stadtteilbezogenen Gremien etc. 
• Das Sozialraumteam wünscht sich von der Gemeinde, dass sie offen ist für alle Anwohnenden, Raum und Teilhabe ermöglicht, insbesondere für Gruppen, die von Benachteiligung und Verfolgung betroffen sind. 
Es sollte konkret geprüft werden, wie es zum wiederholten Male zu einer Kündigung einer externen Gemeinde kommen konnte, welche Schlüsse daraus gezogen werden und welche Handlungspläne für die Zukunft entwickelt werden, um Konflikte aktiv zu bearbeiten und konstruktive Lösungsstrategien anzubieten. 
• Im Besonderen in Bezug auf die Gemeinde Licht und Leben erwarten wir eine strukturierte Konfliktlösung und Begleitung beispielsweise in Form einer externen Mediation. 

Wir setzen einen transparenten Prozess hinsichtlich der Ergebnisse voraus. 

Sozialraumteam 
Osdorfer
Born
 
(21
Einrichtungen/HzE-Träger/Einrichtungen)


20.5.2025

Am
 21.5.2025
 hat 
sich 
die
 Stadtteilkonferenz
 des 
Osdorfer 
Born 
mit 
elf 
zu 
zwei 
Stimmen
 der 
Stellungnahme 
angeschlossen

Die 
Borner 
Runde
 hat 
sich 
der 
Stellungnahme 
ebenfalls 
angeschlossen

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