Stadtteilmagazin für Osdorf und Umgebung
Als Christian Rosenberg sagt, dass er für den Pastor bete, steht er auf einer Demonstration vor der Maria-Magdalena-Kirche im Osdorfer Born. Hinter dem Vorsitzenden des Sinti-Vereins hält jemand ein Schild hoch, auf dem „Ein Rassist ist ein Rassist – auch im Priestergewand!“ zu lesen steht. „Der Pastor hat uns durch seine Äußerungen tief verletzt“, so Rosenberg.
Bei der Demonstration, die der Sinti-Verein am 2. Februar organisiert hatte, kamen 150 Teilnehmende auf den Vorplatz der Kirche. Sie forderten „Rassismus darf niemals siegen!“ und sprachen sich dagegen aus, dass ein Pastor trotz gegen ihn erhobener Vorwürfe seit Jahresbeginn wieder in der Osdorfer Gemeinde als Seelsorger arbeiten dürfe. Gegen den Pastor läuft ein Disziplinarverfahren, über das bislang noch nicht entschieden wurde. Zunächst wurde er wegen des Verdachts einer Amtspflichtverletzung vorläufig beurlaubt. Gleichzeitig stellte die Nordkirche Strafanzeige gegen ihn. Ob eine Volksverhetzung vorliegt, ermittelt die Staatsanwaltschaft seit nunmehr rund anderthalb Jahren. Demnächst soll eine Entscheidung getroffen werden, ob Anklage vor einem Amtsgericht für Strafsachen erhoben wird. Bis zum Abschluss eines möglichen Strafverfahrens gilt für den Pastor die Unschuldsvermutung.
Einige Demonstranten kritisieren, dass sich die Nordkirche hinter den staatsanwaltlichen Ermittlungen verstecke. Laut Disziplinargesetz der Evangelischen Kirche hätte sie die Vorwürfe frühzeitig durch ein eigenes Disziplinargericht klären lassen können. In der Präambel des Gesetzes heißt es ausdrücklich, dass „eine Ordnung der Amtsdisziplin nötig sei, um die Gemeinde vor Ärgernis und Unfrieden zu bewahren“.
Das ist gründlich schiefgelaufen. Noch nie im Verlauf ihrer 50-jährigen Geschichte war die Evangelisch-Lutherische Kirchengemeinde Maria Magdalena so gespalten wie heute. Davon zeugen rund 50 GegendemonstrantInnen, die unangemeldet bei der Kundgebung vorbeikamen. Sie hielten ein Transparent in die Höhe, auf dem „Unser Pastor ist kein Rassist! Wir wissen es besser!“ zu lesen stand. Es handelte sich bei der Gruppe überwiegend um Deutsche aus Russland. Sie betonten, ebenfalls gegen Rassismus zu sein – doch so etwas gebe es in Osdorf nicht. Der Pastor genieße ihr Vertrauen, weil er als Seelsorger immer helfe. Außerdem kümmere er sich mit großem Einsatz um die Lebensmittelausgabe für Bedürftige. Das Team, das Lebensmittel verteile, sei bunt gemischt, nur wenige davon Deutsche. Eine Frau, die bei der Tafel hilft, fragt den Westwind-Reporter: „Waren Sie dabei, als unser Pastor das alles gesagt haben soll?“ Die Gruppe der Gegendemonstrantinnen musste von den übrigen Anwesenden durch Polizeibeamte getrennt werden.
Matthias Greulich
Auszüge aus einer umfangreichen Stellungnahme des betroffenen Pastors:
Ihr Kollege Pastor Dietrich Kreller bezeichnete die Situation auf der Demonstration am 2. Februar für die Gemeinde als „kaum zu ertragen“. Wie beurteilen Sie die derzeitige Situation nach Ihrer Rückkehr in den Dienst?
Natürlich stellt all das für die Gemeinde eine enorme Belastung dar – von „Spaltung“ würde ich dabei aber insbesondere im Hinblick auf die sogenannte Demonstration vom 2. Februar nicht sprechen, da die „eingeflogenen“ und bestellten Teilnehmer und Politikerinnen ganz sicher nicht Mitglieder unserer Gemeinde sind und bislang auch nicht durch großes Interesse an unserer Kirchengemeinde und an religiösen Themen auffielen.
Meine Kirche hat sich den Kampf gegen Rassismus und den Schutz von Minderheiten auf die Fahne geschrieben – das ist gut und richtig so! Dabei geht man aber offensichtlich bisweilen über das Ziel hinaus und ist nicht dagegen gefeit, sich von Unwahrheiten, gutgemeinten Absichten und von politischem Druck leiten zu lassen: So erkläre ich mir den ansonsten wenig plausiblen Auftritt von aktiven und Ruhestandskollegen sowie eines regional nicht zuständigen Propstes am 2. Februar.
Die gegen Sie erhobenen Vorwürfe sind schwerwiegend. Wie äußern Sie sich dazu?
Das zuständige Kirchengericht der EKD hatte die Dienstenthebung meiner Landeskirche am 30. Oktober 2024 ausgesetzt, das ist Fakt. – Wir nehmen das als ein Zeichen dafür, dass die erhobenen Anschuldigungen wohl doch nicht so furchtbar überzeugend sind und nicht zur Dauer des Verfahrens passen, auch wenn meine Kirche es mit der Umsetzung des Gerichtsbeschlusses nicht eilig zu haben schien und bis Anfang Januar 2025 dafür brauchte. Die erhobenen Beschuldigungen sind weiterhin unwahr – wir setzen in diesem Punkt auf das noch laufende Verfahren bei der Staatsanwaltschaft Hamburg.
Haben Sie keine Fehler gemacht?
Ein strategischer Fehler war es wohl auch, der Bitte meines Kirchengemeinderates zu folgen, und am 2. Februar der Veranstaltung fernzubleiben; die erhoffte Deeskalation ist ganz offensichtlich nicht eingetreten. Auch hätte ich die Mitglieder unserer Gemeinde, die für mich überraschend der Einladung zu der sogenannten Demonstration gefolgt waren, nicht gerne allein gelassen – mein Fehler!
Önder Zeybek vergleicht die Lage mit einem schweren Unwetter. „Seit langer Zeit geht ein Sturm des Hasses durch unsere Gesellschaft und bringt vieles durcheinander. Er erzeugt viel Leid und Ängste und wir verlieren Energie“, sagt der stellvertretende Vorsitzende der Türkischen Gemeinde Hamburg bei der Demonstration „Rassismus darf niemals siegen!“ am 2. Februar in Osdorf. Sie seien im Grunde wie Pinguine, die eng zusammenstehen und sich Halt geben, so Zeybek und sieht Christian Rosenberg vom Sinti-Verein an, mit dem er befreundet ist.
Die afrodeutsche SPD-Politikerin Petra Adjoa sagt: „Heute stehen wir hier zusammen, um ein starkes Zeichen gegen Antiziganismus zu setzen. Wir lassen uns nicht von Hass und Ausgrenzung entmutigen.“ Diese Erfahrungen prägten die Realität der unterschiedlichen Communities. Es sei wichtig, zusammen zu kämpfen und nicht alleine. „Denn gemeinsam sind wir stärker als wenn wir jeder Herausforderung einzeln in unseren Communities entgegentreten.“
Dzonie Sichelschmidt ist Erster Vorsitzender des Kulturzentrums ROMED auf St. Pauli und Sozialpädagoge. „Was früher als inakzeptabel galt, wird heute hingenommen. Wenn wir dem nicht entgegentreten, wird sich dieser Prozess beschleunigen, mit verheerenden Folgen für Minderheiten und unsere Demokratie. Das ist kein Zufall. Es ist ein Symptom, eine besorgniserregende Entwicklung, die unsere Grundwerte bedroht und die politische Landschaft nachhaltig verändert.“
Einen kurzen Weg zur Versammlung hatte Cansu Özdemir. Die Spitzenkandidatin der Linken für die Hamburger Bürgerschaftswahl ist im Osdorfer Born aufgewachsen und lebt hier. Sie nahm an einigen Veranstaltungen teil, bei denen der Opfern der Naziherrschaft gedacht wurde. „Ich habe es satt, wenn nur als Randnotiz erwähnt wird, dass über eine halbe Million Sinti und Roma in der Nazizeit ermordet wurden. Das ist keine Randnotiz. Mit dieser Geschichte müssen wir uns auch heute noch auseinandersetzen. Und Aufarbeitung bedeutet, dass es keinen Schlussstrich gibt. Niemals.“ Sie sei mit vielen Sinti und Roma zusammen aufgewachsen und zur Schule gegangen. „Für uns war es alltägliche Selbstverständlichkeit, dass es einen kulturellen Austausch ohne Vorbehalte gibt.“ Es sei dramatisch, „dass wir heute noch im Parlament gewisse Kräfte haben, die versuchen, gesellschaftliche Gruppen zu diffamieren und gegen sie zu hetzen. Und dafür braucht es eine Stärke, die dagegenhält und diese Stärke sind wir alle zusammen.“
Die von Özdemir beschriebenen Kräfte scheuen sich inzwischen auch im liberalen Altona nicht mehr, offen auszusprechen, wie sie über die Opfer des Nationalsozialismus denken. Am 30. Januar verunglimpfte Uwe Batenhorst (Fraktionsvorsitzender der AfD) „diverse gesellschaftliche Gruppen auf übelste Weise“, wie es SPD-Fraktionschef Sören Platten in einer Pressemitteilung formulierte. Die Fraktion der Grünen bezeichnete das Gehörte als „rassistische, volksverhetzende Behauptungen“. Batenhorst kassierte für seine Äußerungen mehrere Ordnungsrufe, der Ältestenrat des Bezirksparlaments wird sich mit dem Vorfall befassen.
Matthias Greulich