Stadtteilmagazin für Osdorf und Umgebung
Etwa 56.000 Menschen aus 190 Ländern trafen sich im November für elf Tage in Belém im brasilianischen Regenwald, um Maßnahmen gegen den Klimawandel zu diskutieren und möglichst auch zu beschließen – das war bei Redaktionsschluss noch offen. Dass trotz solcher Mammut-Konferenzen die Regierungen der Welt aus unterschiedlichen Gründen das Problem der Erderwärmung nur halbherzig und bisher weitgehend erfolglos angehen, ist die eine Sache. Dass das Weltklima andererseits ohnehin nicht von Regierungen gerettet wird, wenn nicht Menschen ihre Einstellungen und ihr Verhalten nachhaltig ändern, liegt auf der Hand. Ideal also wäre, dass jedeR von uns den alltäglichen Umgang mit den Ressourcen der Welt überdenken und, wo möglich, ändern würde. Bloß wie und wo und wer hilft mir dabei und ist das nicht teuer?
Hier kommt eine Gruppe von AktivistInnen in Lurup ins Spiel. In ihrer Recycling-Werkstatt in der Elbgau-straße zeigen sie praktische Möglichkeiten, wie wir im Alltag einen sei es auch kleinen Beitrag zum Erhalt einer lebenswerten Welt leisten können, und sie laden ein, dabei mitzumachen. „Wir möchten gemeinsam etwas dafür tun, dass die Folgen des Klimawandels für Menschen, Tiere und Pflanzen erträglicher werden“, schreiben sie auf ihrer Internetseite, und bieten zum einen die kostenlose Nutzung ihrer Offenen Recycling-Werkstatt an; zum andern gibt es Gruppenangebote, etwa zum Thema Plastik-Recycling, Herstellung von Seifen oder Kerzen sowie zum Thema Upcycling – aus abgenutzten Produkten oder ungenutzten Materialien werden neue, höherwertige Produkte hergestellt. Darüber hinaus gibt es Workshops zu Themen wie Vogelhäuser, 3-D-Druck oder Pflanzgefäße zur vertikalen Begrünung. Alle Angebote sind kostenfrei, damit sich alle daran beteiligen können.
Plastik-Recycling klingt gut – aber wie soll das praktisch gehen? Susanne Milenz, Mitarbeitende in der Werkstatt, führt es vor: Vom Stapel ausgemusterter und gründlich gereinigter Plastik-Gegenstände geht es zum Schreddergerät, das aus Plastikeimern, alten Küchensieben und anderen Gegenständen kleine bunte Schnipsel macht. Die werden erhitzt, zum Schmelzen gebracht und dann mithilfe einer Presse in vorbereitete Formen gedrückt, wo sie zu einem neuen nützlichen Gegenstand aushärten. So entstehen aus dieser Plastikmasse zum Beispiel zwei Bügel und ein halbes Dutzend eineinhalb Meter lange Leisten – alles wird zusammenmontiert und die Küchensiebe finden sich als bunte und stabile Sitzbank wieder! In einer anderen großen Flachpresse können Plastikplatten hergestellt werden, die sich zum Bau von Vogelhäuschen ebenso eignen wie für Pflanzkästen.
Nicht jedes Plastik übrigens ist für das Recyceln geeignet: Das Produkt muss die Kennzeichnung „PP“ oder „PE“ tragen. Für unklare Fälle verfügt die Werkstatt über ein Analyse-Gerät, das nach wenigen Sekunden anzeigt, ob das ihm vorgelegte Material recyclingfähig ist.
Die Luruper Recycling-Werkstatt ist, so könnte man sagen, die Schnittstelle einer Idee, eines organisatorischen Rahmens und engagierter Menschen. Die Idee mit dem Plastik, erläutert Aktivistin Ivonne zum Felde, stammt von Dave Hakkens, einem holländischen Industriedesigner, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, komplizierte Maschinen zum Recyceln von Plastik so zu vereinfachen, dass sie quasi von jedermann nachgebaut und benutzt werden können, was die Herstellung von Produkten aus recyceltem Plastik in kleinem Maßstab ermöglicht. Hakkens hat „precious plastic“ („kostbares Plastik“) zu einer weltweiten Bewegung gemacht.
Der institutionelle Rahmen ist der Verein insel e. V. „insel“ steht für „in Selbstbestimmung leben“; das Ziel des Vereins ist die Förderung der Selbstbestimmung von Menschen mit kognitiven und psychischen Beeinträchtigungen. Neben Beratung und Betreuung gehören auch Themen wie Freizeit und Lernen zu den Vereinszielen. So steht auch die Recycling-Werkstatt ausdrücklich allen Menschen ungeachtet möglicher Beeinträchtigungen offen.
Die wichtigste Säule des Projekts sind die vor Ort tätigen Menschen, zu denen neben den sieben Mitarbeitenden vor allem viele Ehrenamtliche und Freiwillige gehören. „Die TeilnehmerInnen an den Kursen und die BesucherInnen der Offenen Werkstatt“, erzählt Ivonne zum Felde, „kommen aus dem gesamten Stadtgebiet, überwiegend aus Lurup und Osdorf. Es kommen auch viele Menschen mit Beeinträchtigungen, die von ihren Trägern auf uns aufmerksam gemacht werden, und auch andere Gruppen oder Schulklassen nutzen die Werkstatt.“
Prominentestes Produkt der Luruper Werkstatt sind wohl die etwa 40 Schalensitze im Presseraum des HSV, die aus „abgängigen“ Stadionsitzen hergestellt wurden. Auch HSV-Urgestein Horst Hrubesch erhielt vor einem Jahr zwei speziell für ihn angefertigte Sitze – übergeben wurden sie ihm in Osdorfer Born, anlässlich der Einweihung des „Gartens für alle“ an der Bornheide, dessen Gründung ebenfalls von insel e. V. unterstützt wurde (s. Westwind 6/25). Und im Anschluss an einen Stadtteilrundgang für mehr Barrierefreiheit am Osdorfer Born, der am 20.6.24 stattfand, wurden in einem gemeinsamen Workshop Plastikrampen entworfen und hergestellt, mit denen zum Beispiel Kanten an Bürgersteigen für RollstuhlfahrerInnen befahrbar gemacht werden können. Ein aktuelles Projekt ist die Einrichtung eines Onlineshops, der in Kooperation mit dem Projekt „Der Hafen hilft!“ entsteht und über den Produkte, die in der Werkstatt upgecycelt oder nachhaltig hergestellt wurden, zugunsten gemeinnütziger Projekte vertrieben werden sollen.
Was die Werkstatt im Übrigen sucht, sind Menschen, die Freude daran haben, ehrenamtlich handwerklich oder kreativ tätig zu sein, und die darüber hinaus Lust haben, anderen etwas von ihren Fähigkeiten zu zeigen.
Frieder Bachteler